Interkulturelles Training

Ein Auftrag auch nach der Rechnung

Auch wenn wir derzeit Pandemie bedingt eine besondere Situation erleben: Einige Unternehmen und Organisationen senden ihre Experten und deren Familien in ferne Gefilde, um dort die regionale Vertretung zu unterstützen. Gerade erlebe ich es wieder, wie dann die Intensität eines interkulturellen Trainings ganzheitlich und nachhaltig zu Buche schlägt. Immer wieder ergeben sich Fragen, die sich eigentlich erst dann stellen, wenn die der/ die Entsendete mit oder ohne Familie bereits in dem Zielland gelandet ist. Während meiner vielen Jahre als interkulturelle Trainerin habe ich unzählige interkulturelle Trainings erlebt, jedes für sich eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten. Gerade jetzt!

Die Lösung ist da – und wo ist das Problem?

Im Training an sich sind wir bereits auf viele individuelle Fragen eingegangen. Nur, was soll ich denn fragen, wenn ich noch gar nicht weiß, wie die Frage aussehen kann? Ich habe schon eine Lösung aber das Problem fehlt noch? Ich erfahre etwas über eine Situation, die ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorstellen kann?

So erleben meine Klienten mit mir einen bunten kreativen Tag. Der deckt an sich schon viele Fragen des täglichen Lebens und der möglichen Lebens- und Arbeitssituationen ab. Es ist so ein bisschen wie in der Fahrschule. Man hat seinen Führerschein und jetzt geht es ab auf die Piste. In einem Entsendungsabenteuer gibt es nun eben Situationen, die man nicht so einfach abbilden kann. Das muss man spontan auf sich zukommen lassen. In dem betreffenden Moment kann man dann entweder intuitiv handeln, oder im besten Fall jemanden haben, den man dann ansprechen kann.

Spannend wird es, wenn das Licht ausgeht

So habe ich angefangen, meine Dienstleistung auch dann noch anzubieten, wenn die Rechnung für das interkulturelle Training schon längst geschrieben. Meine Auftraggeber haben vielleicht gar nicht mehr auf dem Schirm, dass es diese Familie je in ihrem Spektrum gegeben hat. Es kommt nach der Entsendung zu den üblichen alltäglichen Situationen. Üblich und alltäglich in der Zielkultur, doch für jemanden, der dort gerade gelandet ist, völlig neu und ungewohnt.

Es wird z.B. ein spezieller medizinischer Kontakt gesucht. Oder man benötigt bestimmte Utensilien für das tägliche Leben. Manchmal geht es um einfache Gegenstände, die man von zuhause gewohnt ist. Manch einer sucht ein bestimmtes Pflegeprodukt und ist überrascht, welches neue und fremdartige Produktsortiment die Suche erschwert. Oder es geht um die Handhabung neuer Programme oder Apps, die in der neuen Umgebung völlig anders strukturiert ist. Man stellt eine Allergie fest gegen diese oder jene Speise, hat Sehnsucht nach heimischen Lebensmitteln, hat Fragen zu Insektenschutz, Tabletteneinnahme, Umgang mit Haushaltskräften, Anmeldung in der Schule.

Wenn es dann um das Thema Kommunikation geht, könnte ich glatt Romane darüber schreiben, Kommunikation mit Führungskräften, mit Mitarbeitenden, mit Verkaufspersonal, mit dem Taxifahrer. Die Liste ließe sich noch unendlich fortsetzen, wichtig ist immer, eine Anlaufstelle zu haben. An wen sollen sich denn die Menschen mit ihren Fragen wenden?

Asien – es wird nicht immer nur gelächelt

Mein Spezialgebiet im interkulturellen Training ist Südostasien. Gerade momentan ist es so, dass z.B in Singapur die Neuankömmlinge nach der Ankunft zunächst in ein Quarantäne-Hotel geschickt werden. Wie lassen sich von da aus Kontakte aufbauen? Wie lässt sich von dort aus die neue fremde Welt erkunden? Hier stehe ich gerne zur Seite. Manchmal geht es auch gar nicht darum, eine Antwort zu haben. Es geht um das Gefühl, dass die Situation, die jetzt entstanden ist, völlig normal ist. In einer neuen Umgebung, in einem neuen Land, in dem alles anders ist. Das vertraute Gefühl von Heimat ist nicht mehr da. Ein anderes Gefühl von einer neuen Heimat hat sich noch nicht eingestellt.

Meine Praxis zeigt, dass im interkulturellen Training eine Momentaufnahme abgegeben werden kann, die so viele Bereiche wie möglich abdeckt. Es bleibt eine Darstellung von einer neuen Welt, die für die Teilnehmenden jedoch noch nicht greifbar ist. Manches wirkt etwas abstrakt, teilweise spooky. Meine interkulturellen Trainings mit Zielländern in Südostasien haben es teilweise in sich. Wenn wir von Ritualen bei der Beisetzung sprechen, von Feng Shui, von Aberglauben, da wird einem erstmal bewusst, wie sehr diese Themen auch anders gelagert sein können. Völlig anders als man es sich vorher vorgestellt hatte. Der Begriff von anders wechselt dann häufig in die Beschreibung ‚befremdlich oder fremdartig‘. Auch diese Wahrnehmung greift das interkulturelle Training auf.

Same same – but different

Alles, was fremdartig und befremdlich ist, lehnen wir zunächst ab. Als Selbstschutz sozusagen, als Vermeidung von Konflikten und einfach, um die oft zitierte Reise aus der Komfortzone nicht unnötig zu triggern. Wichtig ist hier, diese Andersartigkeit genau als Mittel zum Zweck zu begreifen und dementsprechend das Training so zu gestalten, dass eine besondere Motivation entstehen kann. Nämlich eine, die sich dem Neuen, dem Fremdartigen mit viel Neugier, Wohlwollen, Empathie und Lust auf das Abenteuer widmet. Das interkulturelle Training muss immer etwas anderes sein als die reine Literaturrecherche. Ansonsten könnte ich meinen Entsendeten auch ein paar Bücher in die Hand geben und mir eigentlich einen schönen Tag machen. Da ich nun selbst nach über 11 Jahren in Südostasien so viele Situationen erlebt habe, die mich an den Rande meiner Vorstellungskraft gebracht haben, freue ich mich für jeden, der ein interkulturelles Training erleben kann.

Für mich war damals diese Situation nicht gegeben. Ich bin in einer Zeit ausgereist, in der das interkulturelle Training noch fremdartig war. Man wurde in ein anderes Land geschickt und musste irgendwie klarkommen. Ob mit kleinen Kindern, einem beruflichen Neuanfang, Studium, neues berufliches Umfeld für den Partner, alles mussten wir uns selbst erarbeiten. Wahrscheinlich war dies Fluch und Segen zugleich. Denn daraus ist tatsächlich diese Leidenschaft erwachsen, andere Menschen vor diesen Situationen zu bewahren.

Die dritte Kultur

Über die Jahre ist ein für mich so wertvolles und gefühlt unendlich großes Netzwerk entstanden. Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind, leisten mir Menschen in so vielen Situationen und Fragen Unterstützung. Zu vielen der Familien, die ich im Training begleitet hatte, habe ich immer noch Kontakt und begleite auch gerne wieder die Situation der Rückkehr. Diese wird von den meisten Arbeitgebern immer noch unterschätzt. Häufig wird hier einfach der Fokus darauf gelegt, dass so ein paar Jahre im Ausland einfach mal gut für die Karriereleiter seien.

Dass sich ein Mensch durch einen längeren Aufenthalt im Ausland komplett mental verändert, die Werte seiner eigenen Kultur in Frage stellt, Verhaltensmuster und Situationen aus der neuen Kultur unwiderruflich mit in sein Repertoire übernimmt, wird außer Acht gelassen. Ergibt sich der Aufenthalt im Ausland für eine sehr lange Zeit, kommt es sogar zu der Ausprägung einer ‘dritten Kultur‘. Hierbei hat man tatsächlich unwiderrufliche Verhaltensweisen der neuen Kultur angenommen und diese mit den altbekannten und erlernten Werten zu etwas Neuem und sehr Individuellem entwickelt.

Wenn der Plan ist, keinen Plan zu haben

Die Situation einer Entsendung ins Ausland ist für die meisten langfristig nicht planbar. Die Expats beziehungsweise Entsendeten, die ich über die Jahre kennengelernt habe, sind zunächst mit dem Vorhaben ins Ausland gegangen, dort nur ein paar Jahre zu bleiben – meistens drei Jahre, mit der Option der Verlängerung auf fünf Jahre. Ergibt sich dann eine andere berufliche Herausforderung und lässt sich dies mit der familiären Situation vereinbaren, gibt es einige, die noch eine weitere Entsendung in einem anderen Zielland annehmen. Früher gab es tatsächlich viele Expats, die mehrere Jahrzehnte für eine internationale Firma unterwegs waren. Letztlich ließen sie sich irgendwo im Ausland nieder.

Dieses kosmopolitane Leben wird heute nur noch in seltenen Fällen von den Unternehmen unterstützt. Nach etwa fünf Jahren bestehen die meisten Unternehmen darauf, die Entsendeten wieder zurück zu nehmen, um sie wieder in die vorhandene Unternehmenskultur einzugliedern. Zu sehr prägen doch nach vielen langen Jahren im Ausland Alleingänge in der Führungskultur eine Verhaltensweise aus, die vorher im interkulturellen Training so nicht berücksichtigt werden kann. Jede individuelle Situation vor Ort beeinflusst die Entscheidung darüber, weiterhin ein Leben im Ausland zu bevorzugen, oder sobald wie möglich wieder in heimischen Gefilden anzudocken.

Third Culture Kids

Die Kinder der Entsendeten, die lange Jahre ihrer Kindheit im Ausland verbracht haben, begründen eine Kultur der ‚Third Culture Kids‘. Zu dieser Thematik gibt es zahlreiche Literatur, die ich wirklich nur empfehlen kann. Zwischen der Fähigkeit, überall auf der Welt leben zu können und mit allen Situationen klar zu kommen, liegt auch die Hoffnung, an der großen Herausforderung und der Vielschichtigkeit nicht zu zerbrechen. Das ist ein sehr sensibles Thema, was bei dem interkulturellen Training oft außer Acht gelassen wird.

In meinen Trainings lege ich schon sehr großen Wert darauf. Und wir sprechen in Ruhe darüber. Bei der Migrations-Psychologie geht es darum herauszustellen, dass eine Entsendung nicht nur eitel Sonnenschein ist. Das interkulturelle Training bereitet auch darauf vor, nach einer anfänglichen Euphorie auch durchaus in ein mentales Loch fallen zu können. Dieses sogenannte ‚Tal der Tränen‘ hilft uns andererseits dabei, das neu Erlebte zu ordnen, zu strukturieren und daraus dann mit einer neuen interkulturellen Kompetenz hervorzugehen.

Hätte mir jemand während meiner Ausbildung zur interkulturellen Trainerin gesagt, auf welch nachhaltiges und ganzheitliches Abenteuer ich mich da einlasse: Ich hätte diese Ausbildung trotzdem machen wollen – oder sagen wir, gerade deswegen! Zwischen Auftrag und Rechnung können eben Welten liegen, und die fakturieren in ihrer eigenen Währung.

In diesem Sinne freue ich mich auf weitere spannende Abenteuer meiner „Reisefamilien“, die vielleicht eines Tages zu Ihren eigenen werden können.

Bleiben Sie gesund, herzlichst,

Ihre Petra Motte

FOTO: pixaby istockphoto-931476336