Coaching aus dem Homeoffice

Kann man Vertrauen digitalisieren?

Da staunte ich nicht schlecht, als mich der versierte Journalist Wolfgang Weitzdörfer (https://wolfgang-weitzdoerfer.de/) kürzlich kontaktierte. Seine Idee: Ein Interview zum Thema Homeoffice. Tja, was soll ich sagen? Hätte mich das noch vor gut einem Jahr jemand gefragt, wäre es eine andere Geschichte geworden. Bis dahin war mein Homeoffice mein Ankerpunkt für Buchhaltung, Konzeption und kreative Denkpausen. Und jetzt?

Nachdem die gesamte Arbeitswelt tsunamiartig durchgerüttelt wurde, habe auch ich meine Arbeit neu sortiert. Die Themen rund um Training, Coaching und Mediation biete ich nun auch online an und sitze damit sozusagen mitten in meinem Ankerpunkt – im Homeoffice. Und ich frage mich, ob oder wie sich das notwendige Vertrauen in den digitalen Raum transportieren lässt. Sind wir auf dem Weg vom Urvertrauen zum Digitalvertrauen?

Das Homeoffice ist ein anderes geworden

Fast kein Tag vergeht ohne diese gewisse Frage, die uns täglich von irgendwoher entgegenspringt: „Homeoffice, ja oder nein?“ Ich dachte immer, für mich wäre diese Frage leichter zu beantworten. Von jeher ist mein Homeoffice mein Ankerpunkt für Buchhaltung und kreative Konzepte. Als Trainerin und Coach bereite ich mich am Schreibtisch vor, mein Geld verdiene ich draußen. Schon mit der Einrichtung meiner Praxis in den eigenen vier Wänden hat sich die Lage deutlich verändert. Was sonst draußen in den Welten meiner Klienten passiert, sollte nun auch an einem Ort stattfinden, der bisher eher für die kreative Entwicklung meiner Projekte gedacht war.

Nichts ging mehr – als bliebe die Zeit für einen Moment stehen

Es war jener Freitag der 13. im März des letzten Jahres, als auch der letzte Präsenzauftrag wegen der aktuellen Situation weggebrochen war. Meine geliebten Live-Veranstaltungen, mein geliebtes Coaching im 1:1-Kontext, alles weg. Ich fühlte mich wie gelähmt und hilflos – wie Du, wie Sie, wie alle in meinem Umfeld. Wir mussten begreifen und neu sortieren.

Wie sollte ich mein Coaching digitalisieren?

Für mich stellte sich schnell die Frage, ob ich individuelles Coaching auch digitalisieren kann. Ein Setting, wie wir es im Coaching arrangieren, basiert auf Respekt, Wertschätzung und vor allen Dingen auf Vertrauen. Also: lässt sich Vertrauen digitalisieren? Ich hatte die Wahl, meine Coachings auch online anzubieten oder eben gar keine Coachings mehr zu machen. So habe ich mich notgedrungen auf Spurensuche gemacht und bin zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Ein Grundsatz im Vertrieb heißt: Vertrauen kann man nicht digitalisieren. Sollte dieser Grundsatz einer anderen Zeit angehören? Wie sonst ist es zu erklären, dass Bankgeschäfte, sämtliche Arten von Events und sogar die Suche nach einem Partner heute zunehmend online stattfindet? Sind wir auf der Entwicklung vom Urvertrauen zum digitalen Vertrauen? Kann daraus das Neuwort Digitalvertrauen werden?

Meine Kunden und Klienten haben mir den Weg gezeigt

Um diese Frage für meinen Arbeitsbereich zu klären, habe ich daraufhin die Beziehungen zu meinen Kunden und Klienten in vielen sehr emotionalen und aufschlussreichen Gesprächen durchleuchtet. Wenn auch nie persönlich, doch voller Vertrauen und Zuversicht, so nach dem Motto „Packen wir es an!“. Mit vielen von ihnen arbeite ich seit vielen Jahre zusammen. Es ist ein wunderbares Arbeitsverhältnis, getragen von viel Wertschätzung und Vertrauen. In den letzten Monaten haben wir in vielen Situationen nach Möglichkeiten gesucht, digitale Lösungen für unsere Ideen, Projekte, Workshops und Trainings zu finden. Zuerst ging es nur um Trainings. Die Präsenzkonzepte wurden umgeschrieben, sodass viele meiner Workshops tatsächlich online stattgefunden haben. Irgendwann fühlte es sich normal an. Ohne aufwendige Reisezeit war ich plötzlich per Mausklick nah beim Kunden.

Erstes Resümee – auch digitales Vertrauen ist eine Art von Vertrauen

Ich habe schnell festgestellt, dass sich weder die Atmosphäre noch die Inhalte eins-zu-eins abbilden lassen. Auch im Verständnis meines Gegenübers musste ich eine neue Form der Analytik lernen. Diese kleine Kachel auf dem Bildschirm, auf der mir viele Facetten der Körpersprache verborgen bleiben, muss mir genügen, um Auskunft über meine Gesprächspartner zu bekommen und eben auch, um Vertrauen aufzubauen. So nach und nach habe ich mich dann auch herangetraut, meine Coaching Einheiten und auch die Konflikt begleitende Mediation online anzubieten.

Die Vorbereitung war ein Abenteuer für sich

Über mein eigenes Lernen im digitalen Bereich habe ich Trainerinnen und Trainer kennengelernt und mit ihnen individuelle Trainingseinheiten verabredet. Auch dort ist nach und nach eine Art des Vertrauens entstanden. Wir kennen uns immer noch nicht persönlich, haben jedoch das Gefühl, mehr als nur den Inhalt der täglichen Nachrichten miteinander teilen zu können. Was ist da passiert, wie lässt sich dieses Vertrauen erklären? In Gesprächen mit meinen Klienten kommen wir immer wieder darauf, dass wir heute auch in einem digitalen Alltag leben.

Wir benutzen das Smartphone, um alle Fragen von der Wetterprognose bis hin zu den neuen Likes in den Social Media zu verfolgen, digitalisieren das Zuhause in eine Smart-Version – all das hat uns doch vielleicht gelehrt, genug Vertrauen in diese Art des Lebens zu haben, oder? Nun können wir uns oft dieses Zögern gar nicht leisten, denn ob Homeschooling oder online Studium, medizinische Beratung und jegliche Art von Dienstleistung, alles ist digital möglich geworden.

Ist digitales Vertrauen eine moderne Form des Urvertrauens?

Wir haben scheinbar gelernt, dass es wohl ein digitales Vertrauen geben muss, denn sonst würden wir uns auf diese schier unendlichen Möglichkeiten nicht einlassen. Es erinnert mich ein bisschen daran, als wir zu Hause damals die erste Waschmaschine bekamen und nicht recht glauben konnten, dass die Wäsche sauber werden würde. Da brauchte es schon viel Vertrauen. Noch mehr Vertrauen brauchte es für das schnurlose Telefon. Wir ertappen uns dabei, dass wir noch lange neben dem Apparat standen, obwohl wir doch ohne Kabel schon längst beweglich gewesen wären. Und wurde das Handy noch vor nicht allzu vielen Jahren als moderne Errungenschaft belächelt, so ist es doch heute kaum von einer Person zu trennen. All das brauchte Vertrauen, viel Vertrauen. Und ebenso wird sich auch das Vertrauen wohl in digitale Wege entwickelt haben, sonst wäre weder Coaching noch Mediation oder sonstige Beratung im digitalen Raum denkbar.

Letztlich ist es digitale Routine geworden

Mittlerweile sind für mich online Beratungen Routine. Das mir entgegengebrachte Vertrauen weiß ich sehr zu schätzen – und zum Glück wird ja nicht das Vertrauen an sich digitalisiert, nur der Kanal, auf dem es kommt, ist ein anderer. Es ist als würde ich mir die Frage stellen, reise ich mit Bus oder Bahn, nehme ich das Auto oder fliege ich lieber. Die Frage ist einfach, wie ich von A nach B komme.

In meinem Arbeitsbereich geht dies eben über Vertrauen, auf welchem Wege auch immer. Unterm Strich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass manche Kundenbeziehungen sich seit der ruckartigen digitalen Bewegung noch intensiviert haben. Als hätten wir nun noch eine neue Facette gewonnen, über die wir kommunizieren können. So oder so, wir haben keine Wahl, vieles von den digitalen Möglichkeiten wird sich als Standard etablieren und wir werden uns damit arrangieren müssen. Diese Virtualität wird unsere Realität bleiben.

Es gibt einen Ort, der ist weder real, noch hat er Wände, oder ein Fenster – dort treffen wir uns.

In diesem Sinne, bleiben Sie gesund und vertrauensvoll,

Ihre Petra Motte

Foto: Jürgen Moll